Nicht nur klassischer Geiger

Dylan, das diesjährige Benefizkonzert trägt die große Überschrift »Feuervogel«: Welche Assoziationen hast Du dazu?

Ich muss sofort an das Jugendsinfonieorchester der Rheinischen Musikschule Köln denken! Denn der Feuervogel war eines der Stücke, die wir damals gespielt haben, als ich als Jugendlicher in diesem Orchester war. War es nicht sogar das erste Projekt für mich dort? Jedenfalls dirigierte mein heutiger Kollege Alvaro Palmen, der damals schon die Stelle als Vorspieler der 1. Violinen im Gürzenich-Orchester hatte. Ich verdanke ihm sehr viel, was meine musikalische Karriere angeht, denn er hat durch seine Arbeit mit dem JSO das Feuer in mir entzündet. Wenn ich Feuervogel höre, denke ich natürlich auch an Bilder wie »Phönix aus der Asche«. Aber ehrlich gesagt bin ich trotzdem immer wieder sofort bei der Musik. Das ist für mich das Wesentliche.

Bist Du ein Feuervogel?

(Lacht herzhaft) Das müssen andere beurteilen. Eigentlich bin ich immer nur Dylan. Aber es kann sein, dass ich manchmal so wahrgenommen werde! Ich merke das an der Resonanz, die ich von meinen Mitmenschen bekomme. Einerseits ist das sehr schön für mich, andererseits macht mich das auch immer ein wenig verlegen. Ja, ich gebe zu, ich mag es, auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Und das scheint die Leute zu überzeugen.

Was bedeutet das Programm des Konzerts für Dich persönlich? Was verbindest Du mit den beiden Werken, Strawinskys Feuervogel und Tschaikowskys Klavierkonzert?

Der Feuervogel war meine erste Erfahrung mit sinfonischer Musik. Ich war 15, das war wirklich prägend für mich. Strawinsky war damals für mich wahnsinnig moderne Musik! Diese Klangkaskaden von Schlagzeug und Blech, sowas hatte ich zuvor noch nie gehört. Und dann dieser Reichtum an Farben in der Musik, das hat mich völlig gepackt. Was Tschaikowsky anbelangt, so sind es von ihm eher andere Werke, zu denen ich eine sehr persönliche Beziehung habe. Als Kind hatte ich eine Märchenschallplatte mit Dornröschen, dazu wurde die Ballettmusik von Tschaikowsky gespielt. Ich wusste aber nicht, dass das Tschaikowsky ist. Als ich dann Dornröschen viele Jahre später im Orchester in Hamburg spielte, kam ich aus der Gänsehaut gar nicht mehr heraus.

Berlioz ist der diesjährige Saison-Schwerpunkt des Gürzenich-Orchesters. Gibt es ein Werk von ihm, das Dir persönlich in besonderer Weise ans Herz gewachsen ist?

Offen gestanden lerne ich erst durch François-Xavier Roth viele Stücke von Berlioz überhaupt kennen. Natürlich kannte ich die Symphonie fantastique – und Harold in Italien, das ja einen großen Bratschen-Solopart hat. Und nun ist es wunderbar für mich, dass ich Berlioz besser kennenlernen darf. Ich habe mal gesucht, ob es ein Kammermusikwerk mit Streichern von Berlioz gibt, das würde mich sehr interessieren. Leider habe ich nichts gefunden. Vor kurzem haben wir ja im Kölner Dom L’enfance du Christ von Berlioz gespielt, davon war ich ebenfalls sehr begeistert!

Was zeichnet für Dich die Zusammenarbeit mit François-Xavier Roth aus?

Das erste, was wohl an ihm auffällt, ist, dass er einem als Musiker und Mensch begegnet – und nicht als Chef. Dabei besitzt er aber durch sein Können eine große Autorität. Mich begeistert, wie genau seine musikalischen Vorstellungen sind, wie nahe er an der Partitur ist, das erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Egal, mit welcher Epoche er sich gerade beschäftigt, seine Interpretationen sind für mich immer schlüssig und authentisch – auch wenn er es oft anders macht, als man es von anderen Dirigenten gewohnt ist. Er bleibt da ganz bei sich, und das finde ich sehr beeindruckend. François-Xavier Roth ist ein toller Chef und eine große musikalische Inspiration. Man hat nie das Gefühl, dass er irgendetwas auf die leichte Schulter nimmt. Es ist ihm sehr ernst mit der Musik – und er ist, was auch nicht selbstverständlich ist, ausnahmslos bestens vorbereitet.

Hattest Du beim Gürzenich-Orchester Erfahrungen mit dem Publikum gemacht, die Dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

Was mir hier in Köln immer wieder auffällt: Das Publikum sucht schon von sich aus sehr den Kontakt zu uns Musikern. Man wird eigentlich immer angesprochen, bekommt Fragen gestellt, wird gelobt. Wir haben hier einfach ein sehr nettes und wohlwollendes Publikum. Man fühlt sich sehr angenommen. Ganz persönlich habe ich eine sehr rührende Geschichte erlebt: Als ich aus Hamburg nach Köln kam, wohnte ich zunächst in einer 1-Zimmer-Wohnung, in der ich auch geübt habe. Eines Tages sprach mich eine Dame, die über mir wohnte, auf mein Geigenspiel an. Ich dachte zunächst, sie fühle sich dadurch gestört, aber es war genau das Gegenteil, sie fand das wunderbar! Sie erzählte mir, dass sie in jedes unserer Konzerte kommt, und bei einem der nächsten überreichte sie mir ein Pröbchen eines Parfums, das Dylan Blue heißt. Das habe ich jetzt in meinem Geigenkasten, man kann prima damit die Saiten reinigen!

Du hast ihr aber nicht gesagt, wozu Du das Parfum verwendest?!

(Grinst) Selbstverständlich – erst kürzlich bei einem Philharmonie-Lunch, da ist sie nämlich auch Stammgast. Und da sie immer am selben Platz sitzt, neben dem Ausgang von der Bühne in den Künstlerbereich, halten wir im Anschluss immer ein kleines Schwätzchen. Da hat sie mir auch erzählt, dass sie das Kammerkonzert mit Black Angels von Georges Crumb, das ich mit Kollegen vor kurzem gespielt habe, nachhaltig bewegt und beeindruckt hat. Das ist bei Musik von 1970 ja nicht unbedingt immer selbstverständlich. Und da konnte ich ihr berichten, dass ich während des Konzertes den Duft, den sie mir geschenkt hat, in der Nase hatte. Ich glaube, das hat sie sehr gefreut.

Deine Biografie verrät, dass Du nicht nur »klassischer« Geiger bist, sondern auch in Clubs auftrittst … das klingt ziemlich aufregend …

Oh ja, das ist es auch! Die Idee hatte ich vor fast 20 Jahren, glücklicherweise hat damals eine reine U-Musik-Karriere nicht geklappt, worüber ich heute sehr froh bin. Eine Freundin aus Berlin brachte mich dann nach meinem Studium mit einem DJ aus Berlin zusammen. Er hat mir Sachen vorgespielt, ich habe zunächst ganz schüchtern ein wenig dazu improvisiert – und ja, er fand das ganz toll! Danach ging es für mich in Clubs los, und bald wurde das zu einem Selbstläufer. Bis heute mache ich das sehr gerne, wenn ich es einrichten kann. Aber ich würde niemals dafür die klassische Geige und das klassische Repertoire aufgeben, beides liebe ich viel zu sehr.

Bist Du ein anderer Dylan Naylor, wenn Du in einem Club spielst?

Nein. Aber was wirklich sehr anders ist, das ist meine Außenwirkung. Ich bin selbst erstaunt darüber, wenn ich Videos sehe. Bei klassischen Konzerten sehe ich immer sehr ernst aus. Das liegt einfach an der Konzentration, die man dafür benötigt. Alles muss möglichst perfekt sein, jede Note sollte ich so wiedergeben, wie sie geschrieben wurde, es gibt einen Notentext. Mit der E-Geige im Club ist das anders, da mache ich Party, da bin ich ausgelassen – und darf das dort auch sein. Im Orchester wäre das nicht so angebracht …

Gibt es für Dich persönliche Rituale vor einem Konzert?

Vor den Probespielen hatte ich welche, damals musste ich immer Tomatensaft und eine Banane im Gepäck haben. Mittlerweile belaufen sich meine Rituale darauf, dass ich vor einem wichtigen Konzert ziemlich ungenießbar sein kann. Wenn ich nervös bin, muss ich einfach in Ruhe gelassen werden. Ich bereite mich dann gedanklich auf den Auftritt vor, es tut mir gut, sozusagen vorher schon einen Teil des Adrenalins auszustoßen. Ich bin danach im Moment des Spielens ruhiger.

Lampenfieber ist also eher stimulierend für Dich?

Ja. Wenn ich weiß, dass ich Spaß beim Spielen haben werde und dass ich den Zuhörern eine Freude mache, fördert das die Kreativität sehr. Ich habe dann total Lust aufs Musizieren.

Was empfindest Du als Geiger besonders entscheidend in der Zusammenarbeit mit Dirigenten? Worauf kommt es dabei besonders an?

Man merkt immer sofort, ob ein Dirigent Streicher ist bzw. sich in die Problematik von Streichern hineindenken kann – oder eben nicht. Wenn ein Dirigent Tempovorstellungen hat, die sich nicht mehr gut von uns Streichern in die Praxis umsetzen lassen, und dann aber unsere Hinweise nicht aufnimmt, sondern auf seinen Ideen beharrt, ist das nicht sehr gut – und für uns Musiker auch wirklich unbefriedigend. Und es ist eigentlich so schade, denn natürlich gibt es Tempi, in denen man die Stellen spielen kann und in denen sie brillant klingen! Dann natürlich die Sache mit den Strichen: Gute Dirigenten, egal ob selbst Streicher oder nicht, wissen, dass Aufstrich und Abstrich ja auch mit Betonungen und Akzentuierungen von musikalischen Phrasen zu tun haben. Das ist wunderbar, wenn ein Dirigent Phrasierungen sozusagen aus der Perspektive von Streichinstrumenten denkt.

Ein großes Orchester ist eine Versammlung von 100 oder mehr Individualisten. Wie sind so viele starke Persönlichkeiten unter einen Hut zu bekommen?

Ein Orchester besteht ja aus vielen Instrumentengruppen, meine Gruppe ist die der 1. Violinen. Niemand möchte aber 16 einzelne Geiger hören, deswegen müssen wir uns bemühen, zusammenzuspielen und einen Gruppenklang zu entwickeln. Je größer die Besetzung, desto größer werden aber auch die Distanzen: zu den Kollegen in der eigenen Gruppe, zum Dirigenten, aber auch zwischen den Kollegen in anderen Gruppen. Andererseits sitzen die Kollegen an den hinteren Pulten näher an anderen Gruppen im Orchester. Dadurch kann der akustische Input dort ein ganz anderer sein als für die Kollegen an den vorderen Pulten. Das kann im ersten Moment zu Schwierigkeiten führen, denn gerade in der ersten Probe für ein Konzert, beim ersten Durchspielen, ist natürlich noch nicht alles perfekt, da kann es auch zu einem Konflikt kommen, was das Zusammenspiel angeht, also an wem man sich orientiert. Genau deswegen können auch wir als Profis ein Konzert nicht ohne Probe spielen. In den Proben wird organisiert, aber auch, unter der künstlerischen Leitung des Dirigenten, aus den vielen individuellen Musikern ein homogener Klangkörper geformt.

Welche Stücke wären für Dich als Orchestermusiker Wunschstücke?

In 17 Jahren als Profimusiker und bereits viele Jahre davor in diversen Jugendorchestern habe ich natürlich schon sehr viel gespielt. Aber beispielsweise die 4. Sinfonie von Tschaikowsky, die ist in all den Jahren irgendwie immer an mir vorbeigegangen, darauf hätte ich wirklich mal Lust.

Würdest Du einem jungen Musiker vor Beginn des Studiums raten, diesen Beruf zu ergreifen?

Sicher nicht jedem. Man muss bei einem Jugendlichen schon ein gewisses Etwas erkennen. Ich selbst war beispielsweise absolut kein Wunderkind, war total faul, habe einfach gerne Geige gespielt, aber nicht gerne geübt. Außerdem hatte ich zwischenzeitlich ein wenig Pech mit dem Lehrer, ich war geigerisch sozusagen etwas verwahrlost, das hat dann erst mein neuer Lehrer in Düsseldorf wieder in Ordnung bringen müssen. Trotzdem glaube ich, dass bereits erkennbar war, dass Potenzial vorhanden ist. Und das ist wichtig. Der Beruf an sich ist aus meiner Warte aber ein absoluter Traumberuf. Klar, die Arbeitszeiten, manchmal hätte ich auch lieber am Wochenende frei. Aber trotzdem schmälert das nicht meine Freude, ich möchte nichts anderes machen.

Konntest Du Dir Alternativen zur Geige vorstellen?

Ja! Während meines Studiums gab es ein Jahr, wo ich mir nicht sicher war, ob der Weg richtig für mich ist. In dieser Zeit habe ich eine Ausbildung zum Fitnesstrainer gemacht. Nicht, weil ich das ernsthaft als Karriere-Alternative erwogen hätte, sondern einfach, um mal meine Nase in etwas ganz anderes hineinzustecken. Heute gäbe es sicher einige andere Berufe, die mir auch Spaß machen könnten. Ich finde Architektur sehr interessant, auch Medizin … aber ich bin einfach glücklich als Musiker.

Was würdest Du als erfahrener Geiger sozusagen als Mantra einem ganz jungen Kollegen mit auf den Weg geben?

Bogeneinteilung – also an welcher Stelle des Bogens man mit wieviel Druck und Geschwindigkeit spielt. Wenn bei jedem das Bewusstsein dafür vorhanden und die Bogeneinteilung innerhalb einer Gruppe identisch ist, sieht das nicht nur harmonischer aus, sondern es klingt auch einheitlicher.

Gibt es für Dich überhaupt ein Leben jenseits der Musik?

Definitiv! Ja! Ich brauche im Urlaub auch immer meine Zeit ohne Geige. Im Sommer in den Spielzeitferien in Bayreuth zu spielen kann mir zum Beispiel nicht vorstellen. Ich brauche auch mal Abstand zum Beruf, weil ich einfach noch etwas anderes bin als ein Musiker. Auch mein Freundeskreis besteht zu großen Teilen aus Nicht-Musikern. In meiner Freizeit bin ich einfach gerne ein soziales Wesen, umgebe und beschäftige mich gerne mit Menschen.

Wie man auf den Fotos von Julia Sellmann sehen kann, hast Du zwei Hunde. Wie stehen sie zu Deinem Beruf?

Meine beiden Möpse sehen das sehr entspannt. Die Hündin, Gloria, ist sehr musikalisch. Einen Werbespot im Fernsehen mit einem Tier, der mit einer Melodie unterlegt ist, kann sie nach ein paar Mal anhand der Musik wiedererkennen. Wenn sie im Nebenraum ist, und sie hört die Musik, kommt sie angefetzt und bellt das Tier an. Der Rüde Bubble allerdings, ich muss das sagen, ist simpler gestrickt, er ist einfach nur froh, wenn er bei mir ist. Neulich habe ich die beiden zu einer Probe für unser Kammermusikprojekt »Black Angels« mitgenommen. Es war so faszinierend, denn Gloria hat sich immer zu meinem Kollegen Daniel Raabe unters Cello gesetzt, warum auch immer.

Glaubst Du, dass Tiere für Musik generell empfänglich – oder vielleicht sogar in einer gewissen Form musikalisch sind?

Ja, sicher. Mehr oder weniger empfänglich, mehr oder weniger musikalisch. Auch da gibt es talentiertere oder weniger talentierte Wesen.

Das Gespräch führte Volker Sellmann.

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