Überflieger und Weltbürger

Mahan Esfahani im Porträt

Dunkel und glühend wie ein Rubin steht der Tee im Glas, ein Farbton, der aus sich selbst heraus zu leuchten scheint. So habe er zum ersten Mal die Farbe Rot bewusst wahrgenommen, erinnert sich Mahan Esfahani, damals, als kleiner Junge im Iran, in einem Straßencafé an der Kaspischen Küste.

Mahan Esfahani, 1984 in Teheran geboren, verließ bereits als Kind das Land, wuchs in den USA auf, studierte an der berühmten Stanford University Musikwissenschaften und Geschichte. Und natürlich Cembalo, jenes Instrument, das ihn schon immer faszinierte, ihm eine Weltkarriere bescherte und dem er in der öffentlichen Wahrnehmung ein komplett neues Profil verliehen hat.

Ausgerechnet das Cembalo! Ein Fossil aus einer Zeit vor der Erfindung des Klaviers, für das Bach, Händel und ihre großen Zeitgenossen nur deswegen komponiert haben, weil es damals eben noch kein Klavier gab? Nicht für Mahan Esfahani: Den Gedanken, dass das Cembalo nur eine Durchgangsperiode in der Entwicklungsgeschichte der Tasteninstrumente sei, lehnt er rundheraus ab – und erklärt, was für ihn dieses Instrument so spannend macht: »Ich glaube, dass das Cembalo im Grunde genommen ein vokales Instrument ist. Außerdem hat es die außerordentliche Fähigkeit, sich zwischen andere Instrumente einzuflechten. Viele Menschen kritisieren, dass sein Ton sofort verklingt und nicht im Raum stehen bleibt. Aber das ist doch genauso, als würde man behaupten, eine Bleistiftzeichnung von Rembrandt sei künstlerisch weniger wertvoll als ein Gemälde von Cézanne!«

Das Tor in die Zukunft

Naheliegend also, dass Mahan Esfahani sich als Cembalist nicht mit dem bereits Vorhandenen zufriedengibt. Klar, auch er spielt auf der ganzen Welt das große barocke Repertoire für Cembalo, begeistert mit Händel, rückt William Byrd und Girolamo Frescobaldi ins rechte Licht, vertieft sich mit Lust in die Genialität Rameaus, den er für einen »zutiefst dissonanten Komponisten« hält. Was ihn allerdings noch mehr zu reizen scheint, ist die Herausforderung, für dieses zarte Instrument des 17. und 18. Jahrhunderts das Tor in die Jetztzeit und in die Zukunft weit aufzustoßen. Die Welt des Mahan Esfahani ist nicht die der musikalischen Archäologie. »Meiner Meinung nach ist das Leben dafür zu kurz.«

Für mich ist das Cembalo im Grunde genommen ein vokales Instrument. Und es hat die außerordentliche Fähigkeit, sich zwischen andere Instrumente einzuflechten.

Mahan Esfahani

Zwar haben auch im 20. Jahrhundert Komponisten das Cembalo entdeckt und bedacht, Igor Strawinsky, Francis Poulenc, Bohuslav Martinů, György Ligeti, Philip Glass zum Beispiel. Doch seit Mahan Esfahani mit unermüdlichem Einsatz Kompositionsaufträge vergibt, Uraufführungen spielt, fließende Grenzen zwischen Tradition und Avantgarde auslotet, ist das Instrument eindeutig in der Gegenwart angekommen: Weg mit Puder und Perücke, hinein in die Klangwelten von Elektronik und Hip-Hop. George Lewis, Bent Sørensen, Poul Ruders, Anahita Abbasi, Daniel Kidane, Michael Berkeley, Miroslav Srnka – nur einige Namen auf der langen Liste von Komponisten, die, inspiriert von Mahan Esfahanis Charisma, für ihn Werke geschrieben haben. Esfahani will Fragen stellen – und findet solche besonders gut, die unbequem sind. »Nur ein feiger Künstler bleibt stehen«, sagt er – und hat folgerichtig auch eines seiner aktuellen Alben als große Frage formuliert: »Musique?« heißt es und präsentiert Kompositionen für Cembalo auf der Grenze zwischen Akustik und Elektronik.

Mahan Esfahani ist ein rastlos Reisender, der neugierig den Globus erkundet. Und trotzdem, so sagt er, fühlt er sich überall als Fremder, als Außenseiter. Doch genau das gefällt ihm. Er lebte bereits in Washington, New York, Boston, Mailand, Oxford und London, seit einigen Jahren ist Prag sein Lebensmittelpunkt. Dorthin gelockt hat ihn die Grande Dame des Cembalos Zuzana Růžičková, bei der Esfahani seinen letzten musikalischen Schliff erhielt. Als sie 2017 starb, blieb ihr Star-Schüler an der Moldau – und schätzt heute an Prag die Freiheit für seine Kunst und für sein Denken, die er dort spürt.

Qualitäten, die auch für Köln uneingeschränkt gelten – und die Mahan Esfahanis ganz besondere Vorfreude auf seine Zeit als Artist in Residence beim Gürzenich-Orchester wecken. Er ist neugierig nicht nur auf die Uraufführung des Cembalokonzerts, das Miroslav Srnka, der wie er in Prag beheimatet und als Künstler in Köln tätig ist, für ihn geschrieben hat. Sondern auch auf die Kölner, die er für die »amüsantesten Deutschen« hält, auf das pulsierende Kulturleben am Rhein – und nicht zuletzt auf das Publikum, das er mit seinem Spiel berühren und begeistern möchte.

Lesen als politischer Akt

Dabei scheint Mahan Esfahani die Musik als einziges Medium nicht mehr zu genügen. Sein Horizont ist noch viel weiter, seine Begabung größer. Die BBC hat ihn als Moderator verpflichtet, er gestaltet dort Live-Programme und ist als Gesprächspartner von Gästen aus Kunst und Wissenschaft zu erleben. In fundierten Radio-Features bearbeitet er Themen wie die Frühgeschichte afroamerikanischer Komponisten auf dem KlassikSektor oder die Entwicklung von Orchestermusik in Azerbaijan. Und er schreibt Essays und Bücher: Über Tee als Sprachrohr des Genusses beispielsweise Mahan Esfahanis Erinnerung an seine Ersterfahrung der Farbe Rot findet sich in diesem brillanten Text. Oder über den Wert der »Nutzlosigkeit von Musik«. Intellektuelle Schärfe und poetischer Reichtum verbinden sich in seinen Gedankenspielen wie in seinen Interpretationen.

Gerade arbeitet er an einer Biografie über sein eigenes Vorbild, den Cembalisten Ralph Kirkpatrick. Und das nächste Buch ist auch schon in Planung: Gemeinsam mit dem großen Händel-Forscher Jonathan Keats will Mahan Esfahani der altbekannten Frage nachgehen, warum sich Bach und Händel nie begegnet sind. Was wäre gewesen, wenn doch? Und was, wenn Mahan Esfahanis Tage 36 Stunden hätten? Dann könnte er sich noch intensiver mit weiteren Passionen beschäftigen, die ihn umtreiben: das Studium alter und neuer Sprachen oder das Sammeln seltener Bücher. Überhaupt das Lesen! Für Esfahani ein politischer Akt – und öffentliche Bibliotheken »Grundpfeiler der Demokratie«.

Klar ist jetzt schon: Die Begegnungen mit Mahan Esfahani als Artist in Residence beim Gürzenich-Orchester werden eines sicherlich nicht werden – langweilig! Nur etwas müsste noch geklärt werden: Die Sache mit dem Tee. Denn der überzeugt Mahan Esfahani in Deutschland nicht (»jede beliebige Art von Grasabfall in Beuteln«), auch da ist er ehrlich. Und findet im nächsten Atemzug, ganz Philosoph, zurück zur Nachsicht: »Was die Deutschen und ihre Vorstellungen von Tee anbelangt ... nun ja ... aber gut: Immerhin haben sie Bach! Und dafür sei ihnen sogar Kräutertee verziehen.«
 

Ein Porträt von Volker Sellmann

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