»Musik harmonisiert«

Konstantin Krell, Vorspieler Kontrabässe

Konstantin, das 3. Abokonzert trägt die große Überschrift »Seelenräuber«: Welche Assoziationen hast Du dazu?

Das ist eine wunderbare Wortschöpfung! Als ich sie zum ersten Mal hörte, habe ich gestutzt, dann dachte ich natürlich an Seeräuber … aber Seelenräuber … das klingt großartig!

Welche persönliche Beziehung hast Du zu den Werken des Konzerts?

Im Corsaire von Berlioz geht es ja um eine Piraten-Geschichte, und mir fällt auf, dass wir Menschen nach wie vor fasziniert sind von solchen Grenzgängern, von Piraten, Freibeutern, großen Liebhabern … ich denke da zum Beispiel an Jack Sparrow aus »Fluch der Karibik«. Und wenn man die Musik von Berlioz hört, assoziiert man sofort diese Stimmung mit viel Action. Was das Mozart-Violinkonzert anbelangt, so gibt es da ja im letzten Satz diese wie aus dem Nichts erscheinende »türkische« Szene mit dem Säbelrasseln, das die Celli und Kontrabässe »col legno«, also mit dem Holz des Bogens hörbar machen. Das ist so unglaublich! Und ich spiele das immer wieder wahnsinnig gerne. Das zeugt übrigens auch davon, wie groß Komponisten denken und wie groß Musik ist. Man kann sich mit ihr jeder Kultur nähern, da gibt es keine Berührungsängste. Tja, und Scheherazade ist einfach ein großer Wurf, ich finde die Geschichte dahinter höchst spannend. Sie handelt davon, dass sich ein Mensch selbst hingibt, um vielleicht tausend anderen das Leben zu retten. Genau dieses Heldenhafte daran mag ich besonders gerne. Ich denke da automatisch an Leute wie Martin Luther King. Und es ist natürlich toll, dass eine so grausame Geschichte doch noch einen guten Ausgang findet.

Welche musikalischen Herausforderungen hält das Konzertprogramm für Dich bereit?

Die Herausforderung entsteht meistens erst im Zusammenspiel mit anderen. Und natürlich im Musizieren selbst vor Ort, im Begleiten von etwas Neuem, das dadurch entstehen wird. Das ist etwas Einmaliges! Ich freue mich auch sehr auf die junge Dirigentin Elim Chan, das wird sicherlich sehr spannend.

Berlioz ist der diesjährige Saison-Schwerpunkt. Hast Du als Kontrabassist zu ihm ein besonderes Verhältnis?

Bei Berlioz habe ich immer vor Augen, dass er ja seinerzeit nicht zufrieden war mit dem Klang der damaligen Kontrabässe. Deswegen entwickelte er zusammen mit einem italienischen Geigenbauer einen großen Kontrabass, den sogenannten Oktobass. Es gibt nur drei oder vier Exemplare davon auf der Welt, ein Oktobass steht in einem Museum in Paris, dort habe ich ihn auch besichtigt. Es ist ein überdimensionaler Kontrabass. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist er so groß, dass zwei Spieler benötigt werden, um ihn zum Klingen zu bringen. Einer streicht, und der andere bedient oben eine Mechanik für die Veränderung der Tonhöhe. Das ist witzig, nicht? Auch Wagner hat sich sehr positiv darüber geäußert. Auf diesem Instrument war damals das Kontra-C möglich, das man aber auf den modernen Kontrabässen von heute auch spielen kann. Vielleicht wäre das eine Idee, dass François-Xavier Roth für eine der anstehenden Berlioz-Aufführungen mal einen Oktobass nach Köln holt.

Was zeichnet für Dich die Zusammenarbeit mit François-Xavier Roth aus?

Ich beobachte, dass einzelne Musiker über sich hinauswachsen, weil er so viel Vertrauen schenkt. Er fordert nicht, sondern er motiviert. Das ist eine sehr besondere Seite an ihm. Er ist als Musiker sehr nahbar, und er offenbart sich komplett. Das ist ein großer Gewinn.

Gab es für Dich persönlich im Laufe Deines Berufslebens herausragende Konzerte?

Tatsächlich kommt mir da das Projekt des ehemaligen Gürzenich-Kapellmeisters Markus Stenz in den Sinn, mit dem Gürzenich-Orchester Wagners Ring des Nibelungen an zwei Tagen aufzuführen. Mit dem Ring waren wir dann ja auch in Shanghai, und das war so eindrucksvoll. Auch die Erfahrung, wie solche Reisen das Orchester zusammenschweißen, das ist einfach sehr gut.

In dem berühmten Monolog Der Kontrabass von Patrick Süskind schildert der Kontrabassist eine »innige Hassliebe« zu seinem Instrument …

Das ist natürlich zum Teil sehr übertrieben, wie das bei Literatur nun mal oft so ist. Aber es ist sehr süß und sehr amüsant. Als Kontrabassist bin ich stolz auf dieses Werk! Natürlich hat man diese Ambivalenz zu seinem Instrument, denn in seinem Berufsleben macht man mehrere Phasen durch. Im Moment liebe ich mein Instrument sehr und hasse es überhaupt nicht.

Mit einem Kontrabass lässt sich sehr vielseitig musikalisch aktiv sein: Orchester, Kammermusik, Jazz …

Mit dem Bass spiele ich nur im Orchester, aber ohne bin ich musikalisch auch anderweitig tätig. So bin ich im kirchlichen Bereich sehr engagiert und organisiere da seit vielen Jahren unter anderem Gospel-Workshops. Musik empfinde ich als unglaublich wichtiges Gemeinschaftserlebnis. Meiner Erfahrung nach sind die Menschen glücklich, wenn sie ein gut geführtes Wochenende lang zusammenkommen und Musik machen. Dafür setze ich mich ein.

Findet sich auch in Deinem Privatleben Musik?

Oh ja! Ich spiele für meine Seele manchmal Gitarre. Mein Musikgeschmack ist sehr breit, und ich beobachte an mir, dass ich in dem Moment, in dem ich mir erlaube, mich mit einem bestimmten Musikstil auseinanderzusetzen, dieses Neue dann auch mag. Man sagt ja, Musik sei grenzenlos. Aber es gibt auch solche, die grenzüberschreitend ist. Gerade in der Neuen Musik kommt es vor, dass man etwas nicht versteht. Ich habe großen Respekt vor jedem, der eine Idee verwirklicht. Aber manchmal braucht es doch sehr viel Mühen, sie zu verstehen. Vielleicht sind es ja auch die eigenen Grenzen, die da überschritten werden? Und es ist sehr spannend, solche Grenzen auch zu spüren.

Wie bereitest Du Dich auf ein Konzert vor?

Natürlich sehe ich mir vor der ersten Probe die Noten an und übe meine Stimme. Es immer wieder spannend, neue Stücke kennenzulernen. Ich praktiziere aber nicht eine Art von persönlicher Einkehr vor einem Konzert. Oftmals gehen mir noch tausend verschiedene Dinge durch den Kopf, ehe ich das Podium betrete. Aber in dem Augenblick, in dem das Konzert beginnt, bin ich hundertprozentig da und voll konzentriert.

Wie, glaubst Du, hat Dich als Mensch Dein Weg als Musiker verändert?

Ich weiß nicht, ob man von Veränderung sprechen kann, denn ich habe ja in meiner Entwicklung als Musiker nur diese eine Realität kennengelernt. Allerdings ist unser Beruf ja von der Arbeitszeit her sehr besonders, was gute, aber auch negative Seiten hat. Das verändert das eigene Tun und Handeln, denn man muss sich um Kontakte mit anderen Menschen, die in einem anderen Zeitrhythmus leben, sehr bemühen. Orchestermusiker haben eben kein freies Wochenende oder einen festen freien Abend wie andere, und das ist eine stetige Herausforderung, manchmal auch eine Gratwanderung, trotzdem in stabilem Kontakt miteinander zu bleiben.

Was empfindest Du als besonders entscheidend in der Zusammenarbeit mit Dirigenten? Worauf kommt es dabei besonders an?

Ich schätze es sehr, wenn sich Dirigent und Musiker auf Augenhöhe begegnen, wenn beide Seiten professionell arbeiten. Das heißt, dass man auch etwas von sich selbst zu Hause lassen muss, um da eine gute gemeinsame Ebene zu finden. Fachliche Kompetenz setze ich voraus, also zum Beispiel, dass ein Dirigent eine klare Idee davon hat, was für ein Gebäude er zusammen mit dem Orchester errichten möchte. Aber die Wertschätzung, die man einander entgegenbringt, die ist wirklich ganz entscheidend – und mir persönlich sehr wichtig.

Veränderst Du Dich im Moment des Spielens?

Auf jeden Fall! Ich bin beim Musikmachen jemand anderes. Wenn ich nach einem Konzert in der Straßenbahn fahre, wird kein Mensch von mir denken, dass ich gerade noch Kontrabass gespielt und an einem Ereignis mitgewirkt habe. Diese Veränderung ist auch nachhaltig, je nachdem, was man gerade spielt. Es macht aber auf jeden Fall emotional sehr viel mit einem. Man findet beispielsweise inneren Frieden in Bezug auf manche Dinge, über die man sich vorher noch geärgert hat.

Würdest Du einem jungen Menschen raten, diesen Beruf zu ergreifen?

Ich würde jeden ermutigen, der begabt ist. Unser Beruf als solcher ist ein wahnsinniges Privileg. Musik gibt mir so unglaublich viel, dass ich es allzu gut verstehen kann, wenn ein anderer Mensch das für sich auch haben möchte. Die Ungewissheit, ob man eine Stelle in einem Orchester bekommt, ist natürlich groß. Aber wenn jemand trotzdem Musiker werden will, dann würde ich ihm auch zuraten.

Gibt es für Dich überhaupt Leben jenseits der Musik?

Ich habe eine Familie, das ist wunderbar. Überhaupt finde ich, dass Gemeinschaft mit anderen Menschen das große Plus für mein Leben ist. Das fängt bei der Familie an, geht aber natürlich weiter. In der Kölner Friedenskirche bin ich Gemeindeleiter, auch dort ist meine Motivation, Gemeinschaft zu stiften. Die Idee der Nächstenliebe, die keine Hürden kennt, die sich nicht um Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung etc. kümmert, sondern bei der es nur um den Menschen geht, empfinde ich als sehr wichtiges Element. Wir bieten zum Beispiel in der Kirche jeden Samstag mittags eine Obdachlosenspeisung für 60 bis 80 Menschen, die durch ehrenamtliche Mitarbeiter eine warme Suppe und Gebäck gereicht bekommen. Mit einem Gospel-Projektchor von etwa 20 Leuten, der aus einem von mir initiierten jährlichen Workshop hervorgeht, habe ich schon mehrere Male Gefängnisbesuche gemacht. Auch im Dezember 2019 ist das wieder geplant. Als es 2015 in der Silvesternacht die Übergriffe auf der Domplatte gab, bin ich mit unserem Gospel-Workshop-Konzept an die Stadt Köln herangetreten. Ich hatte die Idee, dass wir gemeinsam in der Silvesternacht dieses Schreckgespenst vertreiben, indem wir, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Köln, aufstehen und einen Chor bilden. Genauso kam es dann auch, wir machen das in der bevorstehenden Silvesternacht nun bereits zum vierten Mal!

Kann Musik also die Gesellschaft verändern?

Musik bedeutet ja auch, etwas zu rhythmisieren, es in Einklang zu bringen. Wenn eine Gesellschaft, die unterschiedlich gepolt ist, sich darauf einlässt, sich durch Musik in Einklang bringen zu lassen oder im Rhythmus einer Musik zu tanzen, dann ist – zumindest für den Augenblick – schon so vieles erreicht. Musik ist ein wirklich starkes Medium, um Menschen miteinander zu harmonisieren. Aber um die Gesellschaft zu verändern, braucht es auch mutige Ideen, die in verständliche Worte gefasst werden. Und es braucht nach wie vor Menschen, die sie aussprechen und dafür einstehen. Helden eben. Das gibt im besten Fall sogar neuen Stoff für neue Vertonungen oder Tondichtungen. Klingt bisschen wie ein Märchen. Aber so schließt sich der Kreis.

Interview: Volker Sellmann

Konstantin Krell, Vorspieler der Kontrabässe im Gürzenich-Orchester, spielt am 10./11./12. November 2019 im Abokonzert 3 »Seelenräuber« unter der Leitung von Elim Chan.

scroll top