FLUCHTPUNKT
Pavel Haas
Studie für Streichorchester (1943)
Béla Bartók
Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 Sz. 112, BB 117 (1938)
Antonín Dvořák
Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 (1885)
- Midori Violine
- Gürzenich-Orchester Köln
- Joshua Weilerstein Dirigent
Eigentlich unvorstellbar, dass an einem Ort wie dem Konzentrationslager Theresienstadt ein Musikleben mit Konzerten und sogar Uraufführungen stattfand. Nachdem Pavel Haas 1941 dorthin deportiert wird, komponiert er für die Musikerinnen und Musiker innerhalb des Lagers. Als seine Studie für Streichorchester dort uraufgeführt wird, rettet der tschechische Dirigent Karel Ančerl das Notenmaterial. Der Nachwelt bleibt ein markant ausformuliertes, rhythmisch eigensinniges Werk mit ganz eigenem Tonfall erhalten. Pavel Haas wird 1944 nach Auschwitz verlegt und dort ermordet.
Sechs Jahre früher, es ist 1938 – noch ist der ungarische Komponist Béla Bartók nicht auf der Flucht, aber er wird es schon bald sein. Europa steht nah am Abgrund, auch für Bartók scheint die Zukunft mehr als ungewiss. Der Auftrag für ein Violinkonzert flattert ins Haus. Ein klassisches Konzert wie üblich, bitte schön, soll es sein, ganz traditionell mit drei kontrastierenden Sätzen. Doch Bartók hat sich etwas anderes in den Kopf gesetzt. Schließlich gelingt ihm mit seinem 2. Konzert für Violine und Orchester ein faszinierendes Werk: »Gefürchtetes« wie die dem Werk zugrunde liegende Zwölftonreihe kleidet er kunstvoll in einen atemberaubenden spätromantischen Tonfall. So schafft er ein mitreißendes Konzert, bevor er ins amerikanische Exil getrieben wird.
Perspektivwechsel. Neue Horizonte. Der Böhme Antonín Dvořák schaut über den Tellerrand. Zunächst in England, später in den Vereinigten Staaten. 1885 bejubelt man in London die Uraufführung seiner 7. Sinfonie. Ein Erfolg, den der manchmal zu Unrecht unterschätzte Komponist ganz bewusst geplant hat: »Meine Symphonie soll so ausfallen, dass sie die Welt bewegt.« Gesagt, getan, sogar sein guter Freund Johannes Brahms ist rundum begeistert und verzeiht dem Kollegen herzlich gern die eine oder andere ausgeborgte Melodie. Mit seiner Sinfonie d-Moll und ihrem vergleichsweise grimmig-ernsten Tonfall, der beinahe zum Beinamen »Tragische« geführt hätte, widerlegt Antonín Dvořák mit Bravour das schon damals bemühte Klischee vom immerzu heiteren böhmischen Musikanten.