
Composer in Residence
Ringen um Schönheit
Von Thorsten Preuß
Er hat den Erfolg gepachtet. Was Thomas Adès anfasst, verwandelt sich auf fast unheimliche Weise zu Gold. Auf den großen Bühnen der Welt wird er bejubelt, und zwar von Publikum wie Kritik gleichermaßen.
Schon mit 33 wurde er auf den Benjamin-Britten-Lehrstuhl für Komposition an der Royal Academy of Music berufen. Heute dirigieren Pultstars wie Simon Rattle oder Gustavo Dudamel seine Musik. Opern von Adès wurden am Royal Opera House Covent Garden und bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, die großen Orchester reißen sich um ihn, vom Los Angeles Philharmonic über das Amsterdamer Concertgebouw bis zum Leipziger Gewandhaus. Und man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass in dieser Saison auch das Publikum des Gürzenich-Orchesters die Musik von Thomas Adès ins Herz schließen wird.
Diese Popularität allerdings ist dem Komponisten nicht in die Wiege gelegt worden, als er am 1. März 1971 in London als Sohn einer Kunsthistorikerin und eines Schriftstellers geboren wurde. Dass er als Jugendlicher unter Mobbing litt, hat er vor einigen Jahren in einem Interview mit der Times offen bekannt. „Zum einen war ich dick“, erinnert sich Adès, „und wenn körperliche Aktivität erwähnt wurde, wurde ich gleich kränklich. Ich hasste Rugby und fragte mich, warum sich überhaupt jemand der Kälte und dem Schlamm aussetzt.“
Dass er mit Kopien von James Joyces Ulysses unterm Arm herumlief, machte ihn zum nerdigen Außenseiter. Vor allem aber wurde er wegen seiner Homosexualität gehänselt. „Täglich wurde ich verspottet, es war ziemlich hart. Und es kann sehr belastend sein, wenn man denkt, man sei der Einzige.“
In seiner Hilflosigkeit und Verzweiflung entdeckte der junge Mann die Musik als Quelle des Trostes und der Kraft, flüchtete sich in die unendlichen Klangwelten von Sibelius und Tschaikowsky – das Versprechen einer besseren Welt.
„Ich begriff, dass Musik die schrecklichen Gefühle und die Angst aus mir herauszuziehen vermochte.“
Genau das kann man bis heute in der Musik von Thomas Adès spüren. Natürlich, sie klingt brillant, funkelnd, handwerklich gekonnt. Aber noch viel mehr als das: Sie ist von existentieller Bedeutung. „Würde ich nicht komponieren, wäre ich unerträglich, unbeherrschbar, ein stammelndes Wrack, das wild murmelnd durch die Straßen streunt“, bekannte Adès im Times-Interview.
„Ich kann in dieser Welt nicht leben, wenn ich keine Musik erschaffe.“
Thomas Adès gehört zu einer ganzen Reihe von Komponistinnen und Komponisten, die zwar durch die Schule der Avantgarde gegangen sind, dann aber in den Schoß der traditionellen Formen zurückgefunden haben. Nach wie vor fühlt er sich der klassisch-romantischen Tradition verbunden, jener Musik also, die ihn in seiner Jugendzeit durch schwere Momente getragen hat.
Was ihn jedoch unter seinen mitunter recht braven Generationsgenoss*innen herausragen lässt, ist die vibrierende Energie seiner Schöpfungen, der schillernde Farbenreichtum seiner Klänge, vor allem aber die Einprägsamkeit und Wiedererkennbarkeit seiner Einfälle. Der Beginn seines Klavierkonzerts etwa geht mit prägnant-jazzigen Rhythmen sofort ins Ohr und in die Beine.
Kaum verwunderlich, denn der Komponist ist selbst ein glänzender Pianist: „Das Klavier ist mein Zuhause, so wie andere Leute in ihrem Swimmingpool zu Hause sind.“ Und seine erste Oper Powder Her Face wurde nicht nur berühmt, weil ihre Handlung pointiert zwischen Imagination, Sensationslust und Skandal changiert, sondern auch wegen einer ungemein süffigen Musik, die auch immer mal wieder sehr gekonnt auf der Samba- und Bossa-Nova-Welle surft.
Wirkungsvoll sind all diese Stücke, aber alles andere als simpel: Im Violinkonzert zum Beispiel spielen Solistin und Orchester stellenweise in unterschiedlichen Taktarten und Tempi. Hier greift Adès auf Verfahren der Avantgarde zurück. Zugleich kennt er aber auch keine Berührungsängste in Bezug auf Popmusik: So hat er beispielsweise Cardiac Arrest, einen Hit der 80er-Jahre-Band Madness, neu arrangiert.
Kaum zu glauben, mit welch scheinbarer Leichtigkeit Thomas Adès solche Gegensätze verbindet. Als einer, der selbst schmerzhaft Ausgrenzung erfahren musste, arbeitet er heute an der Überwindung von Grenzen – stets mit dem Ziel: „Um Schönheit zu ringen, selbst wenn ich sie nicht ganz erreichen kann.“