A good composer is always ahead of us
A conversation with harpsichordist Mahan EsfahaniMahan Esfahani ist eine Diva ‒ und welche Werbung könnte für sein Instrument, das Cembalo, besser sein? Der Mann aus Teheran (geb. 1984), der in den USA aufwuchs und heute in Prag lebt, gern individuelle Anzüge und Brillenmodelle trägt ‒: Mahan Esfahani also ist das Gegenteil der Barockmusiker alter Schule in Norwegerpullis und mit festem Schuhwerk, die sich einst selbstvergessen über die Noten von Sweelinck oder Bach beugten und dabei der Gegenwart vollkommen entrückt schienen. Obwohl Esfahani selbstverständlich das barocke Repertoire pflegt und beherrscht wie wenige, obwohl er wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen am Instrument tüftelt und sich von Jukka Ollikka ein eigenes Cembalo mit Karbon-Resonanzboden und imposantem 16-Fuß-Register bauen ließ, ist ihm musikalisches Sektierertum ein Graus. Für Esfahani ist das Cembalo kein Relikt aus feudalen Zeiten, das in ständiger Konkurrenz zum modernen Steinway steht, sondern ein Universalinstrument mit einem riesigen Repertoire ‒ bis hin zu aktuellen Werken, die er bei Komponisten wie George Lewis, Gary Carpenter, Brett Dean oder Miroslav Srnka in Auftrag gibt. Bevor er von der legendären Cembalistin Zuzana Růžičková in Prag seinen Feinschliff erhielt, hatte Esfahani Musikwissenschaft und Geschichte an der renommierten Stanford University in Kalifornien studiert; seine umfassende Bildung und Entdeckerlust blitzt in jedem Gespräch auf, aber auch in seinen Essays, Kritiken und Radiofeatures. Am 11. März wird Mahan Esfahani beim Kammerkonzert im Wallraf-Richartz-Museum zusammen mit Mitgliedern des Gürzenich-Orchesters viele alte und neue Lieblingsstücken spielen; im Mai stellt er in der Philharmonie das Cembalokonzert von Bohuslav Martinů aus dem Jahr 1935 vor.

Mahan, du bist in dieser Saison »Artist in Residence« beim Gürzenich-Orchester in Köln. Wie empfindest du die bisherige Zusammenarbeit?
Bei der Planung dieser Residenz hatten wir zuerst die Idee, ein bisschen Moderne mit Barockwerken zu kombinieren. Im Endeffekt aber ging es gleich los mit der Uraufführung des Konzerts von Miroslav Srnka, jetzt machen wir weiter mit vielen neuen Stücken beim Kammerkonzert »Very Personal«. Und dann haben wir im Mai mit Maestro Michael Sanderling das Konzert von Bohuslav Martinů. Ich habe wirklich nicht erwartet, dass ich so viel Raum für die Moderne bekommen würde!
Jetzt ist die alte Musik fast unterrepräsentiert …
Ich könnte natürlich mehr Barockmusik spielen. Aber ich habe mir gesagt, dass in eine Stadt wie Köln, wo Barockmusik und zeitgenössische Musik eine große Aufführungstradition haben, diese Programme mit neuen Stücken ganz gut passen. Andererseits wollte ich nicht mit fertigen Ideen kommen, sondern die Programme mit dem Gürzenich-Orchester gemeinsam entwickeln. Mein Prinzip ist, Fragen zu stellen ‒ mit meinen Konzerten, mit meinen Aufnahmen, mit meinen Mitspielern. Ich interessiere mich für die Fragen, die große Kunst an uns stellt.
Welche Fragen könnten das sein? Nehmen wir das Kammerkonzert »Very Personal« mit Werken von François Couperin, György Ligeti, Henry Cowell, George Lewis und Gary Carpenter. Was ist daran »persönlich«?
Der persönliche Aspekt ist schonmal, dass George Lewis und Gary Carpenter ihre Stücke für mich geschrieben haben. Andererseits möchten wir auch die Concerts royaux von Couperin befragen ‒ z.B. danach, wie diese Stücke auf modernen Instrumenten klingen. Denn ich glaube, dass dieser postmoderne Zwang zur Verwendung alter Instrumente in der historischen Musik mittlerweile passé ist.
Das Programm von »Very Personal« umfasst sehr unterschiedliche Stücke: »Continuum« von György Ligeti, in dem der Ungar seinen individuellen Musikstil auf das Cembalo überträgt …
… ein Stück von 1968, also schon sehr alte neue Musik!

Aber es gibt auch ganz neue Musik ‒ etwa »Timelike Weave«, das George Lewis für dich geschrieben hat.
George Lewis ist Posaunist und Komponist, er ist geprägt von der Fluxus-Bewegung. Kennengelernt habe ich ihn 2017, als ich ein Radiofeature über afroamerikanische Komponisten für die BBC gemacht habe (The Dvořák Statement). Wir wurden Freunde, und ich habe ihn damals gefragt, ob er nicht ein Stück für mich schreiben wolle.
… das dann ziemlich virtuos geraten ist.
Sehr virtuos! Es kommt aus der Tradition der freien Improvisation ‒ es gibt also auch den Einfluss des Jazz, etwa von Charlie Parker. Aber auch im Jazz der Nachkriegszeit gab es ja vielfache Verbindungen zur neuen Musik von John Cage oder Cornelius Cardew.
Wie hat sich Lewis in dem Stück auf die spezielle Klanglichkeit des Cembalos eingelassen?
Man spürt die besondere Vokalität des Cembalos, wie es sie in jeder guten zeitgenössischen oder barocken Musik geben sollte. Aber man spürt auch, dass George die unterschiedliche Farbregister des Cembalos und seine Klarheit versteht. Auf jeden Fall ein wahnsinniges Stück!
Reden wir über Martinů …
Gern, ich habe extra ein T-Shirt mit seinem Porträt angezogen …
Ah, ich dachte, das ist Charlton Heston in »Ben Hur« ... Das Cembalo wurde zu Beginn des 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Welche Folgen hatte das für die Moderne?
Ich würde sagen, dass das Cembalo damals im Zentrum des Diskurses um die moderne Musik stand! Man muss bedenken, dass eine Cembalo-Pionierin wie Wanda Landowska in ständigem Austausch mit Komponisten wie Strawinsky, Fauré, Martinů oder Poulenc stand. Auch für mich sind die Komponisten immer viel interessanter als die Cembaloszene. Meiner Meinung nach ist die musikalische Perspektive von Komponist:innen immer umfassender und visionärer als meine eigene: Ein guter Komponist ist uns immer einen Schritt voraus.
Umso mehr stellt sich die Frage, warum sich Komponisten am Beginn des 20. Jahrhunderts für ein so altmodisches Instrument wie das Cembalos interessiert haben.
Ich würde anders fragen: Warum hat eigentlich damals niemand behauptet, dass es altmodisch sei? Als das Cembalo wiederentdeckt wurde, gab es noch nicht diese ideologische Vorstellung von der einzig wahren Aufführungspraxis ‒ die entstand erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Renaissance des Cembalos im frühen 20. Jahrhundert hatte damit nichts zu tun. Natürlich gab es Komponisten, die das Instrument ein bisschen nostalgisch oder auch ironisch eingesetzt haben. Und natürlich gibt es in der Zeit den Einfluss des barocken Concerto grosso, bei Martinů findet man ihn in vielen Werken. Aber es handelt sich bei ihm nie um verbissene Retrospektive, sondern um ein feines Spiel mit der Traditon. Das finde ich unglaublich faszinierend. Darüber hinaus gibt es Werke wie das Cembalokonzert von Frank Martin aus dem Jahr 1952, in dem es absolut keinen Einfluss der Barockmusik gibt.
Trotzdem glaube ich, dass das Cembalo in Werken der zwanziger und dreißiger Jahre nicht nur eine Farbe, sondern auch eine Botschaft war. Arnold Schönberg hat eben nicht für Cembalo komponiert.
Leider nicht ‒ nobody is perfect!
Mein Prinzip ist, Fragen zu stellen
Mahan EsfahaniBesondere Instrumente brauchen auch besondere Interpreten ‒ ohne Persönlichkeiten wie Wanda Landowska oder Gustav Leonhardt hätte das Cembalo sicher nicht die Stellung, die es heute hat.
Ich würde aber auch sagen, dass die Schule von Leonhardt das Cembalo in eine Art „esoterisches“ Instrument verwandeln wollte, und das hat großen Schaden angerichtet. Vielleicht wollte man dem Cembalo damit seinen Platz in der Alten Musik sichern ‒ okay, das kann ich akzeptieren. Aber leider hat die Generation von Leonhardt die Beziehung zu zeitgenössischen Komponisten ganz abgebrochen. Das ist schade, denn es ist schwierig, sie heute wieder aufzubauen.
Martinů hat sein Konzert 1935 für Marcelle de Lacour geschrieben, eine Schülerin von Wanda Landowska. Wer war die Dame?
Marcelle de Lacour war keine Virtuosin wie Landowska ‒ interessant, dass das Konzert von Martinů trotzdem sehr schwierig ist. Sie war Professorin am Conservatoire in Paris, einer Institution, zu der Landowska keine Beziehung hatte. Aber damals wie heute ging in Frankreich alles von den Institutionen aus. Vielleicht wurden deshalb so viele Cembalowerke für Lacour komponiert.
Ich vermute aber, dass du beim Spielen von Martinůs Konzert weniger Marcelle de Lacour als deine eigene Lehrerin Zuzana Růžičková im Ohr hast.
Wir wissen eigenltlich nicht, wie Lacour das Konzert gespielt hat. Aber man kann sagen, dass Růžičková das Stück wieder zum Leben erweckt hat. Sie ist Martinů zwar nicht persönlich begegnet, weil er im Exil in den USA und der Schweiz lebte, aber das Konzert ist eng mit ihr verbunden ‒ natürlich auch, weil sie eine großartige Cembalistin war. Übrigens hat Kurt Sanderling damals die Plattenaufnahme mit Růžičková dirigiert ‒ und es ist eine schöne Fügung, dass ich das Konzert jetzt mit seinem Sohn Michael Sanderling spielen darf.
Von Michael Struck-Schloen