Abokonzert 5

Grenzenlos

So 12.01.2020
11:00 Uhr
Kölner Philharmonie

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Karol Szymanowski

Suite aus der Oper »Król Roger« (1926)

Wolfgang Amadeus Mozart

Violinkonzert Nr. 4 D-Dur (1775)

Karol Szymanowski

Sinfonie Nr. 4 für Klavier und Orchester (1932)

Einen Traum von unbegrenzter Sinnlichkeit und Freiheit lässt Karol Szymanowski mit seiner Oper Król Roger auferstehen: Ein junger schöner Hirte verwirrt den Hof von König Roger, weil er von einem anderen Gott predigt. Roger lässt den Hirten jedoch nicht bestrafen, sondern verfällt seiner Schönheit. Der Hirte entpuppt sich als Dionysos, Gott der Ekstase und des Rausches. Sich von Konventionen zu befreien, diesen Antrieb lässt auch Szymanowskis 4. Sinfonie erkennen: »Unterhaltungsmusik für das breitere Publikum« wolle er komponieren, wobei seine Sehnsucht nach Lebensfreude tonangebend war. Nicht ganz uneigennützig setzte Szymanowski dabei einen Pianisten, und damit sich selbst, ins Zentrum dieses unbeschwerten Orchesterklangs. Mozarts 4. Violinkonzert bezeugt, dass das Einfachste oft das Schwerste ist – und wenn es gelingt: das Wunderbarste.

Aus privaten Gründen kann Nicholas Collon die Konzerte leider nicht dirigieren. Für ihn übernimmt Harry Ogg, der dieses farbige Programm mit dem einfühlsamen Pianisten Cédric Tiberghien und der jungen Geigerin Noa Wildschut dirigieren wird. 

Verführt durch enthemmte Sinnlichkeit - Szymanowskis »König Roger«

Besonders häufig sind die Werke von Karol Szymanowski nicht auf den Konzertpodien zu erleben, was erstaunlich ist, zählt er doch zu den wichtigsten polnischen Komponisten vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Szymanowski hat während seines Lebens in unterschiedlichen Schaffens-phasen recht verschiedene Musiksprachen verfolgt. Zwei ziemlich gegensätzliche werden uns im heutigen Konzert begegnen. Aus seiner zweiten Oper Król Roger(König Roger) spricht Szymanowskis Interesse an antiken Kulturen, eine Vorliebe für Exotismus und Farbenreichtum. Bei der 4. Sinfonie, der Sinfonia concertante dagegen folgte er einem polnischen »Trend«: Seit ihrer Unabhängigkeit 1919 wuchs der Nationalstolz der Polen. Komponisten hatten das Bedürfnis, dieses Bewusstsein auch musikalisch zu unterstützen – so auch Szymanowski. Darum bedient sich seine Sinfonia concertante polnischer Tanzweisen oder auch Volksmelodien. Arthur Rubinstein, der Widmungsträger der Komposition und einer der besten Freunde des Komponisten, nannte sie Szymanowkis“erste große in spezifisch polnischer Tonsprache«.

Karol Szymanowski reiste 1910 nach Venedig, Rom und Florenz, in den Jahren 1911 und 1914 hielt er sich auf Sizilien auf. Im Nebeneinander der Kulturen des Westens und des Ostens, das er dort erlebte, in der Überlagerung von verschiedenen kultur- und religionsgeschichtlichen Strömungen fühlte er sich zu Hause. In der Folge komponierte er mehrere Werke, die orientalische, antike und frühchristliche Themen reflektieren, beispielsweise Des Hafis Liebeslieder (1911)  oder die 3. Sinfonie Das Lied der Nacht (1914). Szymanowski ließ bei all diesen Kompositionen seine bildreichen Assoziationen in einer üppigen, impressionistischen Klangsprache Gestalt werden. Ebenfalls eine Frucht der beiden Sizilien-Aufenthalte war Szymanowskis Wunsch, ein“ sizilianisches Musikdrama“ zu schreiben. Der Dichter Jarosław Iwaszkiewicz sollte das Libretto dazu verfassen, er schickte im August 1918 einen ersten Entwurf an Szymanowski. Der reagierte darauf in einem enthusiastischen Brief an den Dichter:“ Die flüchtige sizilianische Skizze, die Du mir geschickt hast, hat mich auf Anhieb durch ihre eigentümliche Nähe begeistert. Sie wurde sozusagen zur Offenbarung eines eigenen Geheimnisses.“

Tatsächlich hatte Szymanowksi in Sizilien eine bislang verborgene oder sogar verdrängte Seite an sich erkannt: sein Interesse für Männer. Am sizilianischen Strand sei ihm seine Homosexualität bewusst geworden, teilte er später dem Pianisten und Freund Arthur Rubinstein mit. Und auch bei König Roger, die Titelfigur des“ sizilianischen Musikdramas“, scheint ein junger schöner Hirte das Begehren zu wecken. Einerseits ist Roger fasziniert von ihm, versucht sich ihn andererseits aber fernzuhalten, weil der sinnliche Einfluss allein seines Blickes den König stark verunsichert und weil der Hirte einen völlig anderen Glauben propagiert als den christlichen, dem Roger folgt. Wahrscheinlich hat Szymanowski – auf-gewachsen im streng katholischen Polen – einen ähnlichen Dissens zwischen den moralischen Vorstellungen der Gesellschaft und seiner persönlichen sexuellen Freiheitssuche durchlitten. Die Suite aus Król Roger, die das Gürzenich-Orchester spielt, hat nicht Karol Szymanowski selbst zusammengestellt, sondern der britische Komponist, Pianist und Arrangeur Iain Farrington als Auftragswerk des Gürzenich-Orchesters und des Residentie Orkest Den Haag; den Impuls dazu gab der Dirigent Nicholas Collon. Er schätzt an Szymanowskis Musiksprache das Romantische, Sinnliche und auch die reichhaltigen und komplexen Harmonien. Król Roger ist in Collons Augen ein Meisterwerk, und diese Suite könnte dazu beitragen, dass die Musik der Oper – zumindest in dieser Gestalt – in Zukunft häufiger zu erleben ist. Denn auch wenn Szymanowski hier eine äußerst gefühlsintensive Musik geschrieben hat, die Handlung des Librettos ist zu undramatisch, als dass sie dazu einladen könnte, das Werk häufiger szenisch aufzuführen. Durch die Suite aber könnten Menschen,“ die diesen Komponisten nicht gut oder gar nicht kennen, sein außergewöhnliches geniales Talent erfahren“, so hofft Collon. Iain Farrington hat die 90-minütige Oper zu dieser Suite für Orchester auf den wesentlichen Schlüsselszenen der Oper aufgebaut und feiert dabei die leuchtenden, so fantasievoll schimmern-den Farben der Partitur, die natürlich in einem erheblichen Maße von der subtilen Behandlung des Orchesters leben. Zu Beginn befinden wir uns mitten in einer rituellen Handlung, die vom Chor-gesang (nun von den Holzbläsern interpretiert )  getragen wird, aber auch durch ihre Bass-Lastigkeit die uralte Würde und sakrale Aura des Geschehens widerspiegelt. Wenn König Roger erscheint, wandelt sich die Musik ins Sehnsuchtsvolle. Auch der Hirte bekommt eine eigene Klangfarbe, transparent – auf einen Streicher-Tremolo-Teppich gebettet – und unschuldig wirkt seine musikalische Illustration. In der Suite übernehmen die Violoncelli die Stimme des Hirten, hinzu treten die Solo-Flöte und die hohen Streicher. Die Königin Roxana ist den Verheißungen und Reizen des schönen Jünglings bereits erlegen und schwärmt von ihm mit einer sinnlichen Vokalise, die Anklänge an arabischen melismatischen Gesang aufweist. Ihre Stimme imitieren in der Suite die Solo-Flöte und die ersten Violinen.

Ein entscheidender Moment der Oper ist der ekstatische Tanz des Hirten im ungewöhnlichen 7/8-Takt, den die Schlaginstrumente Pauke, kleine Trommel, Triangel und Schellentrommel vorantreiben. Darüber schlängeln sich magisch-verführerische Melodieinstrumente bis zum Punkt orgiastischer Kulmination. Als Roger und der Hirte sich zum dritten Mal begegnen, steigert sich die Musik wiederum ins Ekstatische, Wilde. Der Hirte bringt die Menschen – insbesondere Roxana – dazu, ihm wie im Rausch zu folgen. Roger fühlt sich zwar angezogen, wider-steht aber. Und als die wilde Truppe davonzieht und der Morgen dämmert, begrüßt er die ersten, die unruhige Nacht verdrängenden Sonnenstrahlen euphorisch:“ Sonne! Sonne! [...] / Und meiner tiefen Einsamkeit, / dem Abgrund meiner Macht / Entreiß ich mein reines Herz / Und bring’s als Opfer dar der Sonne!“

 

Fast wie eine kleine Oper: Mozarts Violinkonzert KV 218

Könnte Szymanowskis Musik zu Król Roger Düfte transportieren, so wären es starke, schwere, intensive. Mozarts Violinkonzert Nr. 4 hingegen könnte man mit angenehmem, klärendem Kaffeegeruch assoziieren, der unsere Sinne befreit von dem Nebel, den Król Rogers so vielseitig schimmernde, verführerische Klangsprache um uns gelegt hat.

»Mozart ist sehr klar«, sagt die Geigerin Noa Wildschut. »Seine vermeintliche Einfachheit trägt enorme Schönheit in sich. Mit wenigen Noten kann er so viele Gefühle ausdrücken und erwecken. Die Mozart-Violinkonzerte sind wie Opern, in denen eine Menge unterschiedlicher Charaktere auftreten.« Zwischen April und Dezember 1775 schrieb der 19-jährige Wolfgang Amadeus Mozart fünf Violinkonzerte, darunter das D-Dur-Konzert KV 218. Zu dieser Zeit war er Konzertmeister der fürsterzbischöflichen Hofkapelle in Salzburg. Es gehörte nicht nur zu seinen Aufgaben, als Musiker in Erscheinung zu treten, sondern auch Werke für den Konzert-gebrauch zu komponieren. Im Gegensatz zu den Klavierkonzerten sollte Mozart nach dieser dichten Kompositionsphase nicht wieder zu dieser Sorte Solokonzert zurückkehren. Und dabei beherrschte er höchstwahrscheinlich sowohl Klavier als auch Violine gleichermaßen gut. Sein Vater, Leopold Mozart, war schließlich ein berühmter Pädagoge und Verfasser einer damals gängigen Violinschule. Mozart bedient mit seinen Violinkonzerten weitgehend die formalen Konventionen seiner Zeit – zumindest, was die Abfolge der drei Sätze schnell, langsam, schnell anbelangt. Innerhalb dieser Formvorgaben jedoch nimmt er sich Freiheiten. Im ersten Satz eröffnet er mit einem fanfarenähnlichen Thema, das die Solovioline im weiteren Verlauf des Satzes nur ein einziges Mal aufgreift. Der zweite Satz ist lyrisch-innig und gibt den beiden Oboen Raum, gemeinsam mit der Solovioline die Themen und Motive fortzuspinnen. Und der Finalsatz, das Rondo, ist von Witz geprägt, vom Wechsel zwischen einem heiteren Andante grazioso und einem schmissigen Allegro ma non troppo. Unterbrochen wird dieses Wechselspiel von einer eher einfachen Melodie, bei der auch die leere G-Saite zum Einsatz kommt, so, als würde sie einen Dudelsack imitieren.

 

Ein schönes Geschenk: Szymanowskis Sinfonie Nr. 4

Ein ähnlich impressionistischer, üppig betörender Farbenrausch wie Król Roger ist Szymanowskis 4. Sinfonie nicht, aber Szymanowski spielt auch hier mit einer plastischen Musiksprache. Von 1920 an hielt sich der Komponist in den Sommermonaten mehrmals in Zakopane im Süden Polens auf. Dort regte die Volksmusik der Region Podhale seine Fantasie an, einige dieser Melodien und Rhythmen flossen auch in diese Sinfonie ein. Im Juni 1932 wurde das Werk, das ursprünglich als reines Solokonzert geplant war, nach außen aber verschleiernd als 4. Sinfonie kommuniziert werden sollte und letztlich Sinfonia concertante genannt wurde, fertig. Der Name trifft das Wesen der Komposition tatsächlich ganz gut, weil zwar das Klavier klar im Vordergrund steht, aber auch andere Orchesterinstrumente sich solistisch exponiert einbringen dürfen – ganz im Sinne einer Sinfonia concertante, dieser Grenzgattung zwischen Sinfonie und Solokonzert.“ Das Klavier ist gleichzeitig innerhalb und außerhalb des Orchesters“, beschreibt Cédric Tiberghien die besondere Rolle des Soloparts.“ Das Klavier führt definitiv, aber es lässt auch anderen Charakteren Raum und verleiht ihnen unterschiedliche Schattierungen. Manchmal gibt es eine Art Kampf, bei dem das Orchester das Klavier fast zu überwältigen scheint, das gehört zur Machart dieser außergewöhnlichen Komposition.“Möglicherweise ist diese Mischform auch ein Signal Szymanowskis an seine Kollegen, die seine Entlassung als Rektor der Musikhochschule von Warschau betrieben hatten, da sie seine Ideen zu unorthodox fanden. In der Folge litt Szymanowski an Geldsorgen.“ Arthur, ich bringe Dir ein schönes Geschenk“, schreibt Szymanowski kurze Zeit später an den Widmungs-träger Arthur Rubinstein.“ Die erste gedruckte Fassung der Sinfonia concertante op. 60. Ich habe Deinen Rat befolgt und das Werk in einigen Städten vorgespielt. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie viel Kraft mich das gekostet hat, aber ich brauchte das Geld dringend. Die polnische Regierung ist fürchterlich kleinlich mit ihren Fördermitteln für Musik und ich muss ja meine gesamte Familie unterstützen.“ Der Dirigent Eugene Ormandy war damit einverstanden, dass Arthur Rubinstein das Werk auf einer Tournee mit dem Philadelphia Orchestra mehrfach spielte, und der Pianist liebte es von Aufführung zu Aufführung mehr. Die Sinfonie Nr. 4 zählte zu Szymanowskis Lebzeiten zu seinen erfolgreichsten Werken. Trotz seines hohen Ansehens in Polen und im Ausland hatte der Komponist – im Grunde seit dem Ende des ersten Weltkriegs, seine Familie verlor damals ihren Grundbesitz – dennoch immer wieder mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Die europaweiten Konzerttourneen brachten ihm zwar Honorare ein, schadeten aber auch seiner Gesundheit. Szymanowski litt unter depressiven Phasen, er wurde misstrauisch und später sogar paranoid. Auch zeigten sich erneut die Symptome einer Lungentuberkulose, die bereits 1929 diagnostiziert worden war. 1937 starb Szymanowski in einer Klinik in Lausanne.

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